Auszüge aus der Eröffnungsrede von Leonore Welzin zur Ausstellung  „Schwebezustand“ von Claudia Borowsky im Künstlerhaus Heilbronn im Juni 2022:

 

Im Vorgespräch mit der Künstlerin fällt mir auf, dass sie nicht nach Themen sucht, sondern Material findet und damit arbeitet, spielt und experimentiert, wo­durch sich - ohne Absicht, quasi zufällig, Formen auftauchen und Themen ergeben.

Als Beispiel nennt sie den Umgang mit Hefeteig: Zutaten mischen, kneten, walken, auseinander­ziehen, schlagen, klopfen, zusammendrücken, abdecken und ruhen lassen. Wenn der Teig bei der richtigen Temperatur aufgegangen ist, formen und backen. So hat sie es von ihrer Oma gelernt.

Die Zubereitung von Brot und Hefegebäck, verstanden als plastizierender Prozess, impliziert bildhauerisches Denken, und das schon lange bevor Claudia BOROWSKY ihre Steinmetz-Lehre gemacht und ihr Bildhauer-Studium absolviert hat. Das Objekt „Im Laib“ stellt den direkten Bezug zu den frühen Teig-Erfahrungen her. Ein Embryo aus Beton gleichsam in einer Gebärmutter aus Teig - ummantelt, geschützt, eingebettet. Ein Geschöpf im Urzustand, Sinnbild des Schöpferischen an sich.

 

PAPIER-Arbeiten unterschiedlicher Formate: Für die Bildhauerin ist das unbeschriebene leere Blatt eine weiße Fläche, der sie Plastizität abtrotzt. In Serien von Kleinstformaten in Diarähmchen, über Notizzettel und DinA4-Formate bis zur Größe des handgeschöpften Ingres-Papiers faltet, knickt, knittert, schiebt, knautscht und drückt sie das Papier. So entstehen feinste Flachreliefs, runden sich Körper, wölben sich dreidimensionale Gesichter – alles ohne das Papier zu zerreißen, zu zerschneiden oder durch Befeuchten modellierbar zu machen.

 

Die anderen Werkstoffe sind BETON in Verbindung mit NYLON. Zunächst ergibt sich aus den Bedeutungsfeldern beider Materialien eine extreme Distanz: Baumaterial versus Damenbekleidung. Dieses in einem Werk zu kombinieren führt zu Verfremdungseffekten und lässt an „das zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ denken – so das berühmte Credo des Dichters Lautréamont, den André Breton und seine surrealistischen Komplizen so liebten.

Was die Installa­tion über ihre surrealen Anmutungen und ästhetischen Herausforderungen hinaus ausmacht, ist beispielhaft IM ZWISCHEN III. Das labile Gleichgewicht der Betonklumpen im Nylongewebe wird durch Zug und Gegenzug gehalten. Sobald die Spannung raus genommen wird, rutscht der Beton durch. Es gilt eine Stelle innerhalb des Beziehungsgeflechts zu  finden, und den Betonklumpen dort zu fixieren. Der SCHWEBEZUSTAND entsteht erst durch diese exakt austarierte Spannung.

 

Außer den Papierarbeiten und den Kombinationen von Beton in Nylon trifft der Blick auf BETONGÜSSE von kauernden Babys. Sie wirken im Ge­samtkontext der Ausstellung verletzlich, verloren, nackt und bloß. Vielleicht weil die Embryo­nalstellung Ausdruck ultimativer Hilflosigkeit des Neu­geborenen ist. - In vielen Kulturen werden auch die Toten so beerdigt. Anfang und Ende in analoger Körperhaltung gleichen sich wie das wenig definierte Davor und Danach.

 

„Meine Arbeiten sind keine in sich abge­schlossenen Werk, sie sind offen für Weiterentwicklung…“ sagt an Claudia BOROWSKY.

Der Weg vom Material-Experiment zur fixen Form, die zunächst absichtslos schwebend existiert, bevor sie sich materiell zu erkennen gibt, ist ein originär kreativer Akt. Wie das berühmte „Stirb und werde!“ kann er ad infinitum fortgeführt werden oder in der Schwebe gehalten werden. Im Laufe dieses Schöpfungsakts manifestiert sich die Kenntnis, reift die darin enthaltende Erkenntnis zur Be-Deutung.

 

Leonore Welzin (freie Journalistin) Heilbronn, 2022


Auszüge aus der Eröffnungsrede von Heike Piehler zur Ausstellung  „Als ich wie ein Vogel war“ von Claudia Borowsky im Kunstverein March im September 2019:

 

Claudia Borowsky erschafft Geschöpfe, so ließe sich ihr Werk zusammenfassen.  Ihre Figuren und embryonalen Wesen formen sich in gewisser Weise unter ihren Händen von selbst, „sie tauchen auf“, wie sie selbst sagt. Wenn sie Papier zu Gesichtern formt, weisen diese charakteristischen Gesichtszüge auf, die Physiognomie von Männern oder Frauen, Älteren oder Jüngeren, aus verschiedenen Ethnien und mit verschiedenen Empfindungen. Nur mit ihren Fingern knickt und schiebt sie das Papier, ohne es zu zerreißen, zu zerschneiden oder nass zu machen. Wenn Claudia Borowsky plastisch arbeitet, dann greifen ihre manuellen Fertigkeiten, ihre bildhauerische Imagination, die physikalischen Eigenschaften und Grenzen des Materials und auch ein Quäntchen Zufall ineinander. 

 

Ihre Werke bewahren eine Distanz zum Betrachter, obwohl sich die Künstlerin darin unmittelbar mit dem Menschen, mit dem „Menschsein“ befasst.

 

Begonnen hat der für sie so typische Prozess des "Auftauchens“ menschlicher Formen während ihres Studiums bei Experimenten mit Teigmasse, etwa mit Hefeteig. Später wechselte die Bildhauerin ihr Material und studiert seitdem das Verhalten schwerer Betonmasse, die sie teils in sich selbst verdreht und teils mit dem dünnen Nylongewebe von Feinstrumpfhosen umhüllt, es ineinander verwindet und intuitiv formt. Im Entstehungsprozess verwachsen diese so unterschiedlichen Materialien regelrecht miteinander, durchdringt der Beton das Gewebe, bildet weiche, runde Formen aus.

 

Wie Frühformen des Organischen können die Plastiken betrachtet werden, wie eine früh-embryonale Entwicklungsstufe. So erscheint der nächste Schritt geradezu zwingend: die Gestaltung von Embryos und Neugeborenen, die ihre Ausstellung bevölkern, in sich selbst versunken und offenkundig noch nicht in der Welt „draußen“ angekommen. Manche ihrer Figuren bettet sie in eine amorphe Masse, die sich wie ein Kissen weich an die kleinen Körper anschmiegt, wie Teig.

 

 „als ich wie ein Vogel war“ lautet der Titel einer ihrer Babyfiguren. Es ist zugleich der Titel eines Liedes von Klaus Renft aus den 1970er Jahren des DDR-Rock. „Ohne Stimme flog ich fort, als schon alles schlief“, heißt es darin. Claudia Borowsky hat das Baby in einer schlafenden Position geformt, träumend. 

 

 

Text: Heike Piehler (Kunsthistorikerin, Kuratorin in Freiburg i.Br.), 2019